Einwanderung und Auswanderung
Nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieg setzte um 1650 eine
Wanderungsbewegung in die Kurpfalz ein, die bis ca. 1720 andauerte. Das
völlig entvölkerte und in weiten Teilen zerstörte Land benötigte Menschen für
den Wiederaufbau, und der 1649 aus seinem englischen Exil zurückgekehrte
Kurfürst benötigte Abgaben zahlende Untertanen für die Verwaltung des
Staates und für die Finanzierung seines Hofes. Also rief Pfalzgraf Karl Ludwig
Bürger in anderen Ländern dazu auf, in sein Land zu kommen, um die
verlassenen Bauernhöfe und Gutshöfe des Adels zu übernehmen, zu
bewirtschaften und die Städte wieder aufzubauen. Insbesondere reformiert
Gläubige aus der Schweiz, die vom Krieg nicht betroffen war und der ein
Bevölkerungsüberschuss drohte, nahmen die Offerte des Kurfürsten an und
kamen in den Kraichgau. Über 60% der Kraichgauer Bevölkerung in den
ehemals kurpfälzischen Dörfern soll auf die Schweizer Einwanderung
zurückgehen.
Auf dem Streichenberg sind Schweizer Mennoniten (Täufer) seit 1661
belegt. Diese Bevölkerungsgruppe war nur auf den Hofgütern des Adels und
auf den außerhalb der Dörfer gelegenen Mühlen geduldet, denn sie galten
wegen ihrer Kompromisslosigkeit in Glaubensfragen als Sektierer, standen in
Opposition zu den Amtskirchen und galten wegen ihrer konsequenten
Ablehnung des Kriegsdienstes als Staatsfeinde. Viele Täufer kamen über das
Elsass in den Kraichgau und zogen von hier aus weiter nach Pennsylvania, wo
ihnen die uneingeschränkte Religionsausübung erlaubt war.
Hier waren es religiöse und politische Gründe, die die Menschen zur
Auswanderung bewogen, dort lagen die Ursachen in einer schlimmen
Naturkatastrophe, einem grausamen Krieg oder ethnischer Verfolgung.
Ebenso waren es lang erduldete Missstände oder manchmal sogar die
Stimmung des momentanen Augenblicks Auslöser dafür, dass Menschen ihre
Heimat verließen und nach einer Gelegenheit suchten, irgendwo anders ein
besseres Leben führen zu können.
Für die Kraichgauer Bevölkerung dürfte es im 18. und beginnenden 19.
Jahrhundert in den meisten Fällen die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit
gewesen sein, die ganze Familien zur Auswanderung bewogen. In den
Realteilungsgebieten Süddeutschlands wurden alle Erben eines Bauernhofes
mit Grundstücken bedacht. Die bäuerlichen Betriebe und Ackerflächen
wurden mit jedem Erbgang kleiner und für die Familien bestand die
Notwendigkeit, außerhalb der Landwirtschaft zusätzliches Einkommen zu
erwirtschaften oder auszuwandern. Dabei war es gar nicht so einfach
wegzukommen, denn man musste um Auswanderungserlaubnis nachsuchen,
und erst wenn alle Verbindlichkeiten geregelt und alle Schulden getilgt
waren, erhielt man vielleicht eine Genehmigung. Vermutlich erste
Auswanderer aus Stebbach war die Familie des Georg Philip Dodderer, der
mit seiner Frau Veronica und seinen 7 Kindern nach Pennsylvania zog und
dort im Jahre 1724 in dem Ort Bebbers Township am Swamp Creek
namentlich erfasst wurde. Felix Guth folgte 1727 mit seiner Frau Anna
Margaretha und seinen 8 Kindern. Noch vor 1732 wagten Johann Michael
Dotterer und seine Frau Margaretha mit fünf Kindern die gefährliche Fahrt
über den atlantischen Ozean.
Die Auswanderungsakten im Stebbacher Archiv beginnen mit dem Jahre 1809. Damals war Russland das
bevorzugte Ziel deutscher Auswanderer. Die Politik der russischen Herrscher war darauf ausgerichtet, das
Land in den dünn besiedelten Gebieten zu erschließen und besonders an seiner Südflanke gegenüber dem
Osmanischen Reich zu sichern.
Am Schwarzen Meer nahe Odessa hatten sich seit 1804 deutsche Siedlungsgebiete gebildet, in die bald auch
Einwanderer aus Stebbach strömten. 1809 erhielten Georg Schneider, Magdalena Bär, Adamina und Rosina
Albrecht, Elisabeth Beck, Bernhard Krieg sowie Dietrich und Georg Weickum die Auswanderungserlaubnis
nach Russland. Ihnen folgten in den Jahren darauf Andreas und Karl Daniel Albrecht, Philipp und Michael
Weickum, Georg Philipp Müller, Bernhard Krüher und Margaretha Hertle.
Ein weiteres bevorzugtes Einwanderungsgebiet war Ostpolen, das von Russland annektiert worden war. Im
Juli 1833 machte sich eine ganze Abordnung Stebbacher Bürger auf den mühevollen Weg dorthin. Die
Auswanderungserlaubnis hatten Stefan Diefenbacher, Jacob Beck, Christof Saulauf, Jacob Klauser, Jakob
Fröhlich, Jacob Diefenbacher, Jacob Krieg, Philipp Weickum und Konrad Hildenbrand samt Familien erhalten.
Nach den Auswanderungsunterlagen waren das immerhin an die 50 Personen. 1834 und 1838 folgten Martin
Weickum und Katharina Kolmar.
Eine zweite Auswanderungswelle aus dem Kraichgau in die USA setzte
um 1830 ein; sie verstärkte sich nach dem Scheitern der Badischen
Revolution von 1848/49 und ebbte erst um 1900 ab. Seitens der
badischen Regierung hatte man nämlich erkannt, dass man mit der
Auswanderungsgenehmigung gezielt Bevölkerungspolitik betreiben konnte
und handhabte die Ersuchen insbesondere dann großzügig, wenn arme
Familien auswandern wollten - die Reichen und Wohlhabenden hatten
keinen Grund dazu.
Nach Amerika dürften zwischen 1830 und 1900 über 250 Stebbacher
ausgewandert sein. Die genaue Anzahl lässt sich nur schwer ermitteln,
weil häufig nur die als Familienoberhäupter geltenden Ehemänner, seltener die Ehefrauen und in den
wenigsten Fällen die Kinder in den Auswanderungsakten genannt wurden. (Die Tabelle oben zeigt die
Auswandererzahlen aus Deutschland in die USA; genaue statistische Daten aus Baden liegen nicht vor.)
Der vor über 250 Jahren begonnene, zwischenzeitlich scheinbar zur Ruhe gekommene Prozess der
Auswanderung hat mit der Vertreibung Deutschstämmiger nach dem 2. Weltkrieg und der freiwilligen
Rückkehr ehemaliger Auswanderer in das wirtschaftlich erfolgreiche Deutschland der 1990er-Jahre eine
umgekehrte Dynamik entwickelt, die als Folge des 2. Weltkriegs und des politischen Wandels in den
osteuropäischen Staaten so nicht vorhersehbar gewesen war.